Gedenken – ein biblischer Auftrag
Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard hat einmal gesagt: „Das Leben wird rückwärts verstanden, aber vorwärts gelebt.“ Die Erinnerung an die Vergangenheit ist notwendig, weil sie uns auf dem Weg in die Zukunft hilft. Das hat für uns als Christen eine große Bedeutung, da das Erinnern und Gedenken gerade in der Bibel eine große Rolle spielt.
Dabei geht es nicht nur darum, Vergangenes nicht vergessen, sondern vor allem darum, Vergangenes in der Weise zu vergegenwärtigen, dass es für die Gegenwart und Zukunft fruchtbar wird. Erinnern und gedenken kann dazu führen, heute für die Zukunft Weichen zu stellen, um Vergangenes zu vermeiden. Das gilt vor allem dann, wenn wir uns einer vergangene Schuldgeschichte erinnern, wie etwa an den Holocaust in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes.
Auf Beschluss der Vereinten Nationen wird seit 2006 am 27. Jänner der „internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ weltweit begangen.
Am 27. Januar 1945, wurde das Konzentrationslager Auschwitz -Birkenau von sowjetischen Truppen befreit, weswegen dieser Tag zum Gedenktag wurde. Im KZ Auschwitz - Birkenau wurden während des Nationalsozialismus etwa 1,1 Millionen Juden sowie viele tausend andere Häftlinge umgebracht. In Auschwitz - Birkenau hatte die SS ab April 1940 das größte ihrer Arbeits- und Vernichtungslager errichtet. Somit wurde dieser Ort zum zentralen Symbol der nationalsozialistischen Massenvernichtung.
In Israel wird der Holocaustgedenktag als Erinnerung an die über 6 Millionen ermordeten Juden als „Yom Hashoa“ im Frühjahr begangen. Für das Volk Israel hat natürlich das Gedenken einen existentiellen Gegenwartsbezug, da die Bedrohung der Existenz Israels auch heute allgegenwärtig ist. Das zeigt sich auch in dem Bewusstsein der israelischen Bevölkerung, wie aus einer Umfrage im letzten Jahr anlässlich des Holocaustgedenktages hervorgeht.
Demnach ist etwa die Hälfte (47%) der israelischen Bevölkerung besorgt, dass ein weiterer Holocaust über das jüdische Volk kommen wird. Angesichts der schwindenden Zahl Holocaustüberlebender in Israel werden aufgezeichnete Zeitzeugenberichte immer wichtiger, um das Gedenken am Leben zu erhalten. In Israel etwa leben noch rund 160.000 Holocaustüberlebende (Stand April 2022). Ihr Durchschnittsalter ist 85,5 Jahre. Im Jahr 2021 starben in Israel 15.553 Holocaustüberlebende, das sind durchschnittlich 42 Todesfälle täglich.
Für uns als Christen kann ein solches Gedenken an den Holocaust nur auf dem Hintergrund von Buße geschehen. Die vielfältige Schuld der christlichen Kirchen, die durch ihre antijüdische Theologie den Nährboden für alle Formen des Judenhasses geschaffen haben, ist auch heute noch für viele Christen eine Herausforderung, sich mit der Schuld der Väter zu identifizieren, aber auch die eigene Haltung den Juden gegenüber zu überdenken.
Dieser Holocaustgedenktag hat aber nicht nur darin seinen Sinn, vergangene Schuld nicht einfach unter den Tisch zu kehren, sondern fordert auch zu einem echten Umdenken dem jüdischen Volk gegenüber auf. Als Christen sind wir gerufen, mit großer Dankbarkeit dem jüdischen Volk zu begegnen, weil Gott dieses Volk als Werkzeug auserwählt hat, uns das rettende Evangelium zu vermitteln, wie Jesus sagte: „Das Heil kommt von den Juden“ (Joh.4,22). Wir sind gerufen, uns an die Seite Israels zu stellen, dieses Volk mit unserer Liebe zu umarmen, und Freunde Israels zu sein. Dazu werden wir durch solche Gedenktage erinnert.
Helmuth Eiwen